Viele Menschen begeben sich im Laufe ihres Lebens auf die Suche nach der eigenen Familiengeschichte. Nicht selten halten solche Recherchen Überraschungen für die Suchenden bereit. Und manchmal sogar eine ganze Familie.
Das war der Fall bei Sandy Lanman (geb. Hahn), die sich nach dem Tod ihrer Mutter Marion Gabel auf die Suche nach ihren Wurzeln begab, die in Deutschland, unter anderem in Neu-Isenburg lagen.
„Diese Recherche war wie eine Detektivgeschichte. Immer neue Hinweise und Entdeckungen halfen, die Geschichte zu einem Ganzen zusammenzufügen“, so Sandy Lanman. Sie kam im September aus New Jersey nach Neu-Isenburg, um den Ort kennenzulernen, an dem ihre Mutter mehr als ein Jahr lebte: Das ehemalige Heim des Jüdischen Frauenbundes.
Marion Gabels Lebensgeschichte
Am 28. Juni 1928 wurde Marion Gabel, die Mutter von Sandy Lanman, im Heim für unverheiratete Jüdische Mütter in Stockelsdorf (Schleswig-Holstein) geboren. Ihre Mutter war die aus Hamburg stammende Elsa Marie Sophie Gabel.
Am 26. November 1929 kam Marion Gabel alleine in das Heim des Jüdischen Frauenbundes nach Neu-Isenburg, wo sie bis zum 16. April 1931 blieb und anschließend nach Sinndorf bei Koblenz abgemeldet wurde. Am 6. September 1932 wurde sie von dem Ehepaar Hermann und Johanna Buchwalter, geb. Marx, adoptiert und hieß von nun an Marion Buchwalter. Sie zog zu ihnen nach Bendorf am Rhein, ebenfalls in der Nähe von Koblenz.
Marion und ihre Adoptiveltern emigrierten während des Zweiten Weltkriegs im April 1939 in die USA, wo bereits Familienmitglieder von ihnen lebten. Sie zogen in den Stadtteil Washington Heights in New York City, wo es eine große deutsch-jüdische Gemeinde gab.
Im November 1948 heiratete Marion, ihren Mann Ludwig Hahn, der ebenfalls aus Deutschland geflüchtet war. Er stammte ursprünglich aus Frankfurt am Main – Bergen-Enkheim. Gemeinsam hatten sie zwei Kinder. Marion machte eine Karriere als Kosmetikerin und Sängerin, arbeitete im Verkauf, liebte es Opern zu singen und klassische Musik. Marion und Ludwig zogen 1984 nach Florida, wo sie ihr Leben bis zu Marions Krebserkrankung genossen. Dieser erlag sie im März 1991.
Tatsächlich wusste Marion nichts über ihr früheres Leben im Heim ‚Isenburg‘. Erst 1997 fand ihre Tochter Sandy Lanman die Familie der leiblichen Mutter von Marion und pflegt seitdem eine sehr enge Beziehung zu ihr. Durch diese lernte sie viel über das Leben ihrer Großmutter. Elsa Marie Sophie Gabel flüchtete aus Deutschland nach Manila, Philippinen. Dort kam ihr erster Ehemann, Günther Hamburger aus Breslau, am Ende des Kriegs um. Sie emigrierte dann in die USA und heiratete erneut. Sie bekam aber keine weiteren Kinder. 1995 starb sie dort im Alter von 86 Jahren.
Besuch in Neu-Isenburg
Sandy Lanman steht schon seit längerem mit der Seminar- und Gedenkstätte Bertha Pappenheim in Verbindung. Nach einem Online-Treffen im Jahr 2023, kam es 2024 endlich zu einem Treffen in Neu-Isenburg. Zunächst wurde Frau Hahn-Lanman von Bürgermeister Dirk Gene Hagelstein im Rathaus empfangen. „Es war ein bewegender Moment, Sandy Lanman hier begrüßen zu dürfen. Ihr Besuch der Seminar- und Gedenkstätte Bertha Pappenheim, um ihre Wurzeln zu erkunden, ist ein eindrucksvolles Zeichen dafür, wie wichtig Erinnerung und Versöhnung für unsere Gemeinschaft sind. Das Bertha-Papenheim-Haus steht für ein Stück Geschichte unserer Stadt, das wir für die zukünftigen Generationen bewahren müssen“, sagt Bürgermeister Dirk Gene Hagelstein.
Anschließend besuchte Sandy Lanman die Seminar- und Gedenkstätte Bertha Pappenheim, die sich in „Haus II“ des ehemaligen Heims des Jüdischen Frauenbundes befindet. Da Marion Gabel zum Zeitpunkt ihres Aufenthaltes im Heim noch sehr jung war, ist es wahrscheinlich, dass sie in diesem Haus gelebt hat. Denn „Haus II“, das 1914 eröffnet wurde, war für Schwangere, Mütter, Säuglinge und kleine Kinder vorgesehen. Für viele Nachkommen ehemaliger Zöglinge ist es ein besonderer Moment, das Haus zu besuchen und einen kleinen Eindruck davon zu bekommen, wie ein Leben damals ausgesehen haben könnte.
Sandy steht weiterhin mit der Stadt Neu-Isenburg in Kontakt und dank ihr konnte der Eintrag auf der Webseite des Online-Gedenkbuches ergänzt werden. Sie selbst berichtet über ihren Besuch: „Ich bin Bürgermeister Dirk Gene Hagelstein und Anna Held sehr dankbar, dass sie mich so herzlich in Neu-Isenburg und im Bertha-Pappenheim-Haus willkommen geheißen haben.“ Und Sandy Lanman ergänzt: „Außerdem bin ich Esther Erfert-Piel zu Dank verpflichtet, da sie die Aufenthaltsakte meiner Mutter im Stadtarchiv gefunden hat und bestätigt, dass sie im Haus gelebt hat. Dies löste ein Rätsel, das mir viele Jahre lang Fragen aufgegeben hatte. Der Aufenthalt in dem Gebäude, in dem die kleine Marion Gabel vor fast einem Jahrhundert betreut wurde, hatte für mich eine große emotionale Bedeutung. Ich werde es nie vergessen.“
Kontakte:
Seminar- und Gedenkstätte Bertha Pappenheim:
Zeppelinstraße10
63263 Neu-Isenburg
E-Mail:
Tel.:06102 241-754/-755
Gedenkbuch für das Heim des Jüdischen Frauenbundes in Neu-Isenburg (1907-1942)
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